In einem einführenden Beitrag über den harmonischen Oszillator und das Hoole’sche Gesetz wurden diese beiden Begriffe anschaulich eingeführt. Jetzt werden wir uns das physikalische Verhalten eines harmonischen Oszillators deutlich näher anschauen; insbesondere was die zugrunde liegende Mathematik zur Beschreibung der Bewegung eines solchen Oszillators angeht.
Schon mal eine kleine Warnung: Ohne Grundkenntnisse der Differentialrechnung ist es schwierig, einen harmonischen Oszillator und die Auswirkung des Hooke’schen Gesetzes auf seine Bewegung wirklich zu verstehen. Trotzdem werde ich zunächst versuchen, möglichst weit auch ohne Differentialrechnung zu kommen.
Erst mal zur Erinnerung:
- Ein System ist schwingungsfähig, wenn bei Auslenkung aus der Ruhelage eine Rückstellkraft existiert, die das System in seine Ruhelage zurück führen will.
- Die Bewegung eines harmonischen Oszillators gehorcht dem Hooke’schen Gesetz; es besagt, dass die Auslenkung eines schwingungsfähigen Systems aus seiner Ruhelage proportional zur auslenkenden Kraft ist.
- Bei Wegfall der auslenkenden Kraft, wirkt nur noch die Rückstellkraft; dadurch wird eine Schwingungsbewegung hervorgerufen, bei der potentielle und kinetische Energie periodisch ineinander umgewandelt werden.
- Harmonische Schwingungen unterscheiden sich im Betrag der maximalen Auslenkung und in der Schnelligkeit der Schwingung.
Für die mathematische Beschreibung der Bewegung eines harmonischen Oszillators – seine Bewegungsgleichung – ist die Erkenntnis, das die Bewegung periodisch erfolgt, von besonderer Bedeutung. Maximale Auslenkung und Schnelligkeit sind wichtige Kenngrößen einer harmonischen Schwingung.
Die Frage ist, welche mathematische Funktionen in der Lage sind, diese Eigenschaften harmonischer Schwingungen abzubilden.
Sinus und Cosinus
Wichtigstes Charakteristikum einer harmonischen Schwingung ist ihre Periodizität. Eine mathematische Beschreibung muss ebenfalls periodische Eigenschaften haben. Das bieten insbesondere die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus (die wichtigsten Fakten dazu sind im Beitrag über trigonometrische Funktionen zu finden).
Die maximale Auslenkung kann über einen Vorfaktor der Sinus- bzw. Cosinusfunktion beschrieben werden; das entspricht der Amplitude einer Sinus-/Cosinusfunktion. Und die Schnelligkeit einer Schwingung entspricht der Stauchung bzw. Streckung der Sinus-/Cosinusfunktion durch Multiplikation des Winkels mit einem Vorfaktor.
Fazit:
Sinus- und Cosinusfunktionen sind in der Lage, die wichtigsten Charakteristika einer harmonischen Schwingung mathematisch zu beschreiben.
Exkurs: Was ist eine Bewegungsgleichung?
In der Physik geht es meist darum, die Änderung von physikalischen Größen vorherzusagen: an welchem Ort ein Auto zu einem späteren Zeitpunkt sein wird, wenn man Startpunkt und Geschwindigkeit vorgibt; welche elektrische Ladung sich in einem Kondensator angesammelt hat, nachdem man ihn vor 2 Minuten an eine Batterie anschlossen hat etc.
All diesen Fragen ist gemeinsam, dass es um die Abhängigkeit einer physikalischen Größe von der Zeit geht. Oder mathematisch gesprochen: es geht um den funktionalen Zusammenhang zwischen der physikalischen Größe und der Zeit.
Bei einem harmonischen Oszillator ist es die Auslenkung, die sich mit der Zeit (periodisch) ändert. Wir benötigen also einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Auslenkung und der Zeit. Das wäre dann die gesuchte Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators. Da wir schon wissen, dass Sinus und Cosinus gute Kandidaten für die Bewegungsgleichung sind, müssen wir nur noch klären, wie der Winkel φ durch die Zeit zu ersetzen ist.
Was hat der Winkel \(\varphi\) mit der Zeit t zu tun?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die sog. Winkelgeschwindigkeit einführen. Dabei werden sich übrigens die Vorteile des Bogenmaßes als Winkeleinheit zeigen. Schauen wir uns als Erstes die Entstehung einer Sinuskurve in einer Animation an:
In der Animation ist der Winkel noch in Grad angegeben (ein Vollkreis hat den Winkel 360°). Für unsere Zwecke ist das Bogenmaß (Einheit: rad) aber deutlich besser geeignet. Man nutzt dazu die Tatsache, dass ein Kreis mit Radius 1 einen Umfang von 2π hat. Statt der Winkel beträgt 360° kann man also auch sagen der Winkel beträgt 2π. Und alle Winkel zwischen 0° und 360° kann man gemäß der Formel\[\varphi(\text{rad})=\frac{2π}{360}\cdot \varphi(\text{grad})\]ins Bogenmaß umrechnen. Näheres im Beitrag über Trigonometrische Funktionen.
Stellen wir uns jetzt vor, dass der Punkt auf dem Kreis in der Animation mit konstantem Geschwindigkeitsbetrag umläuft. Zur Zeit t=0 startet er seinen Umlauf. Der von ihm überfahrene Kreisbogen wird größer und größer (da es ein Einheitskreis ist, entspricht die Kreisbogenlänge dem überstrichenen Winkel in rad!). Nach einem vollständigen Umlauf hat er den Weg 2π in der Zeit T (Umlaufzeit) zurück gelegt. Seine Geschwindigkeit (Weg durch Zeit) war also 2π/T. Diese (konstante) Geschwindigkeit wird Winkelgeschwindigkeit genannt und meist mit dem griechischen Buchstaben ω (Omega) bezeichnet.\[\omega=\frac{2\pi}{T}\]
Und da Weg (φ) durch Zeit (t) gleich Geschwindigkeit (ω) ist, gilt \[\varphi=\omega\cdot t\]
Die Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators
Jetzt gehen wir in die Zielgerade zur Formulierung der Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators.
In der Sinus- bzw. Cosinusfunktion muss man nur noch φ durch ωt ersetzen:\[\sin{\varphi}=\sin{\omega t}\]bzw.\[\cos{\varphi}=\cos{\omega t}\]
Wenn t=T, also nach einem Umlauf, gilt\[\omega \cdot T= \frac{2\pi}{T} \cdot T=2\pi\]
Das Youtube-Video des Gymnasium Fridericianum Erlangen demonstriert den Zusammenhang zwischen einer Schwingung und der entsprechenden Kreisbewegung anhand eines Federpendels.
Je größer ω, desto weniger Zeit wird für einen Umlauf benötigt:\[T=\frac{2\pi}{\omega}\]Man kann auch sagen: Je größer ω, desto mehr Umläufe werden pro Zeiteinheit bewältigt. Zum Beispiel werden in einer Sekunde 1/T Umläufe geschafft. Da diese Angabe anschaulicher ist als die Winkelgeschwindigkeit, hat man der Zahl der Umläufe pro Sekunde einen eigenen Namen verpasst: Frequenz (üblicherweise mit dem griechischen Buchstaben \(\nu\) – gesprochen „nü“ – bezeichnet). Der Zusammenhang zwischen Winkelgeschwindigkeit und Frequenz lautet\[\omega=\frac{2\pi}{T}=2\pi\cdot \frac{1}{T}=2\pi\nu\]Die Frequenz hat die Einheit 1 durch Sekunde (1/s), was auch ein Hertz genannt wird.
Der Wechselstrom aus der Steckdose hat beispielsweise eine Frequenz von 50 Hz. Das bedeutet in diesem Fall, dass die die Stromstärke 50 mal in der Sekunde zwischen einem Maximum und einem Minimum hin und her schwingt.
Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Winkelgeschwindigkeit und Frequenz gilt übrigens:\[\sin{\omega t}=\sin{2\pi\nu t}\]Analoges gilt für den Cosinus. Zudem wird die Winkelgeschwindigkeit oft auch Kreisfrequenz genannt (also: nicht durch verschiedene Bezeichnungen verwirren lassen!).
Bisher ist die mathematische Formulierung der Bewegung eines harmonischen Oszillators rein beschreibend – ohne dass es einen Hinweis gibt, wodurch die Frequenz bzw. Winkelgeschwindigkeit bestimmt wird.
Mit Hilfe der Differentialrechnung, des 2. Newton’schen Gesetzes und der Definition eines harmonischen Oszillators über das Hooke’sche Gesetz kann man einen Zusammenhang zwischen Winkelgeschwindigkeit, der Masse des Oszillators und seiner Kraftkonstanten herleiten (siehe den Besserwisser-Abschnit). Für alle, die sich mit der Herleitung nicht beschäftigen wollen hier das Ergebnis \[\omega=\sqrt{\frac{D}{m}}\]
für Besserwisser...
Die Bewegungsgleichung einer schwingenden Masse an einer Feder kann auch mit Hilfe der Differentialrechnung hergeleitet werden. Die Kraft, die zur Auslenkung eines harmonischen Oszillators um den Betrag x aufgewandt werden muss beträgt \(F=-D·x\) (D: Kraftkonstante des Oszillators; Minuszeichen, weil die Kraft die Auslenkung verringert). Nach dem 2. Newton’schen Gesetz bewirkt diese Kraft eine Beschleunignung a des schwingenden Systems: F=m·a.
Setzt man die beiden Kraftausdrücke gleich, bekommt man \(m \cdot a=-D \cdot x\). Die Beschleunigung ist definitionsgemäß die zweite Ableitung des Ortes nach der Zeit: \(a=\frac{d^2 x}{dt^2}=\ddot{x}\). Das führt zur Differentialgleichung\[m\cdot \ddot{x}=-D \cdot x\]bzw.\[\ddot{x}=-\frac{D}{m} \cdot x\]Gesucht ist eine Funktion x(t), die diese Differentialgleichung erfüllt.
Es muss also die zweite Ableitung von x(t) bis auf einen konstanten Faktor (-D/m) gleich der Funktion selbst sein. Dies wird von den trigonometrischen Funktionen \(x(t)=A\cdot \sin{\omega \cdot t}\) bzw. \(x(t)=A\cdot \cos{\omega \cdot t}\) erfüllt. Denn es gilt unter Anwendung der Kettenregel für die erste und zweite Ableitung (hier am Beispiel der Sinusfunktion dargestellt):\[\dot{x}=A\cdot \omega \cdot cos{\omega t}\]\[\ddot{x}=-A\cdot \omega^2 \cdot sin{\omega t}\]Einsetzen von \(x\) und \(\ddot{x}\) in die Differentialgleichung ergibt\[-A\cdot \omega^2 \cdot sin{\omega t}=-\frac{D}{m}A\cdot \sin{\omega \cdot t}\]Nach Division durch A und \(\sin{\omega t}\) und Multiplikation mit (-1) bleibt übrig\[\omega^2=\frac{D}{m}\] oder nach Wurzelziehen\[\omega = \sqrt{\frac{D}{m}}\]
Die Bewegungsgleichung für den harmonischen Oszillator lautet also\[x(t)=A \cdot \sin{\sqrt{\frac{D}{m}}t}\]Vorteil dieser Herleitung der Bewegungsgleichung ist, dass die Größe der Winkelgeschwindigkeit und damit der Frequenz gleich mitgeleifert wird. Die Frequenz steigt mit der Wurzel aus der Kraftkonstante („Steifigkeit“ des Oszillators) und fällt mit der Wurzel aus seiner Masse.
Damit sind wir am Ende der Suche nach der Bewegungsgleichung eins harmonischen Oszillators angekommen:\[y(t)=A\cdot \sin{\omega t}=A\cdot \sin{2\pi\nu t}=A\cdot \sin{\sqrt{\frac{D}{m}} t}\]bzw.\[y(t)=A\cdot \cos{\omega t}=A\cdot \cos{2\pi\nu t}=A\cdot \cos{\sqrt{\frac{D}{m}} t}\]Die Konstante A entspricht der maximalen Auslenkung des Oszillators und \(\omega\) ist die Winkelgeschwindigkeit; D ist die Kraftkonstante des Oszillators und m seine oszillierende Masse.
Es sind noch zwei Modifikationen an der Formel möglich, gezeigt am Beispiel der Sinusfunktion:\[y(t)=A\cdot \sin{(\omega t+p)}+h\]p heißt Phase und verschiebt die Sinusbewegung entlang der Zeitachse; h verschiebt die gesamte Sinuskurve in Richtung der y-Achse (wenn h=0, liegt der Mittelpunkt der Schwingung – die Ruhelage des Oszillators – bei y=0). Näheres zu diesen Modifikationen der trigonometrischen Funktionen findet man hier.
Man muss an dieser Stelle betonen, dass es sich beim harmonischen Oszillator um ein ideales Verhalten handelt. In der physikalischen Realität treten immer Reibungskräfte oder andere Einflüsse auf, die die Amplitude und sogar die Frequenz der Schwingung verändern. Der harmonische Oszillator ist dennoch eine unverzichtbare Grundlage zum Verständnis auch komplizierterer Schwingungsvorgänge.