Doch die Differentialrechnung ist viel breiter anwendbar als nur zur Berechnung von Momentangeschwindigkeiten. Immer wenn ein funktionaler Zusammenhang f(x) besteht – also eine Abhängigkeit einer Größe f von einer anderen Größe x – stellt sich die Frage, wie stark sich f mit x ändert. f kann die Wegstrecke und x kann die Zeit sein, was unserer Diskussion der Momentangeschwindigkeit zugrunde liegt. Aber auch die Frage wieviel mehr Wein der Supermarkt kaufen muss, wenn sich die Zahl der Käufer ändert, um welchen Betrag der Luftdruck mit zunehmender Höhe fällt und wie stark die mittlere Welttemperatur in Abhängigkeit vom Kohlendioxid-Gehalt der Luft steigt kann mit Hilfe der Differentialrechnung bearbeitet werden.
Man spricht dann im Allgemeinen nicht von Momentangeschwindigkeit, sondern von der sog. Ableitung (die Momentangeschwindigkeit ist z.B. die Ableitung der Wegstrecke nach der Zeit), wobei es verschiedene Bezeichnungsweisen für eine Ableitung gibt:
\[\lim_{\Delta x \to 0} \frac{\Delta f}{\Delta x} = f'(x) = \frac{df}{dx}\]
f'(x) – gesprochen: f Strich von x – ist die kürzeste Schreibweise; \(\frac{df}{dx}\) – gesprochen: df nach dx – wird oft gebraucht, um die Nähe zum Mittelwert \(\frac{\Delta f}{\Delta x}\) zu betonen und wird Differentialquotient in Anlehnung an den Differenzenquotient genannt. Beide Bezeichnungen sind weit verbreitet.
Beide Schreibweisen sind auch geeignet, um höhere Ableitungen zu bezeichnen. Wir hatten gesehen, dass die Ableitung von s(t)=t² gleich 2t ist. Die Ableitung ist also immer noch von t abhängig und man kann sich fragen, wie groß die Änderung der Ableitung mit der Zeit ist. Man spricht dann von der zweiten Ableitung von s nach t und schreibt dafür
s“(t) oder \(\frac{d^2f}{dx^2}\)
gesprochen: s zweistrich von t bzw. d quadrat f nach dx quadrat.