• Beitrags-Kategorie:Mathematik
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Der Differentialquotient ist ein Schlüsselelement der Differentialrechnung. In diesem Beitrag soll es detaillierter um die Zusammenhänge zwischen Sekanten, Tangenten, Differenzen- und Differentialquotient gehen (im Überblicksbeitrag zur Differentialrechnung hatten wir das Thema schon angerissen).

Grundlage: die Geradengleichung

Differentialrechnung hat viel mit Steigungen von Geraden zu tun. Deshalb müssen wir uns erst einmal darum kümmern, welche Eigenschaften Geraden haben und wie sie mathematisch beschrieben werden.

Geraden werden durch die Geradengleichung charakterisiert:

\[y(x)=m \cdot x +b\]

m und b sind Konstanten. m beschreibt die Steigung, b den y-Achsenabschnitt der Geraden in einem kartesischen Koordinatensystem mit den x-Werten auf der horizontalen Achse (Abszisse) und den y-Werten auf der vertikalen Achse (Ordinate).

Die Steigung m gibt an, wie stark sich y ändert, wenn sich x um Δx ändert. Je steiler die Gerade, desto größer die Steigung m. Man kann das auch anders ausdrücken: Die Steigung ist die Änderung von y, wenn sich x um 1 erhöht.

Der y-Achsenabschnitt b ist der y-Wert, bei dem die Gerade die y-Achse schneidet; denn wenn x=0 gesetzt wird, ist y=b.

Das folgende Video verdeutlicht die Zusammenhänge (wenn zu schnell: Video stoppen/starten):

Noch ein paar wichtige Anmerkungen zu den Eigenschaften einer Geraden:

  • Wenn b=0, geht die Gerade durch den Koordinatenursprung (0/0) \[y(x)=m \cdot x+0=m \cdot x\]
  • Ist b positiv (b>0), schneidet die Gerade die y-Achse oberhalb der x-Achse; ist b negativ (b<0), liegt der Schnittpunkt unterhalb der x-Achse.
  • Wenn m=0, ist die Gerade eine Parallele zur x-Achse im Abstand b; denn dann ist y=b, also von x nicht abhängig.
  • Ist m positiv (m>0), steigt die Gerade von links nach rechts an; ist m negativ, fällt sie von links nach rechts ab (man spricht dann von negativer Steigung).
  • Die Steigung m kann auch als Tangens des Winkels zwischen der Geraden und der x-Achse (α) interpretiert werden (tan(α)). Denn das Dreieck aus Δy, Δx und der Geraden ist rechtwinklig mit Δy bzw. Δx als Gegen– bzw. Ankathete des Winkels α; und der Quotient aus Gegen- und Ankathete ist in der Trigonometrie definiert als Tangens von α.
  • Last but not least: die Steigung einer Geraden ist für alle x-Werte gleich! Denn für alle Paare \(x_1,x_2\) gilt
    \[m=\frac{\Delta y}{\Delta x}=\frac{y(x_2)-y(x_1)}{x_2 – x_1}\]
    \[=\frac{(m \cdot x_2+b)-(m \cdot x_1+b)}{x_2 – x_1}\]
    \[=\frac{m \cdot x_2+b-m \cdot x_1-b}{x_2 – x_1}\]
    \[=\frac{m \cdot x_2-m \cdot x_1}{x_2 – x_1}\]
    \[=\frac{m \cdot (x_2-x_1)}{x_2 – x_1}=m\]

Was ist eine Sekante?

Wenn man eine Funktion f(x) in einem kartesischen Koordinatensystem einzeichnet, kann man zwei beliebige Punkte der Kurve (\(P_1, P_2\)) mit einer Geraden verbinden.

Jede solche Gerade nennt man Sekante der Kurve.

Abb.1 zeigt eine Sekante als Verbindungsgerade zwischen den Punkten \(P_1\) und \(P_2\).

Sekante

Abb.1: Definition einer Sekante

Steigung der Sekante

Die Steigung der Sekante wird – wie bei jeder Geraden – ermittelt, indem man den Quotienten aus Δf und Δx zwischen den Punkten \(P_1\) und \(P_2\) bildet:

\[m_{sek}=\frac{\Delta f}{\Delta x}=\frac{f(x_2)-f(x_1)}{x_2-x_1}\]

Die Steigung ist zudem – wie bei jeder Geraden – gleich dem Tangens von α (siehe Abb.2). Der y-Achsenabschnitt der Sekante ist für die Differentialrechnung ohne Belang.

Die Steigung der Sekante ist ein Differenzenquotient: sowohl Δx als auch Δf haben im Allgemeinen einen von Null verschiedenen Wert (Ausnahme für Δf: f(x)=konstant).

Abb.2: Steigung der Sekante \(\frac{\Delta y}{\Delta x}=tan(\alpha)\)

Was ist eine Tangente?

Wenn \(P_2\) immer näher an \(P_1\) rückt, wird Δx immer kleiner. Gleichzeitig nimmt auch Δf ab, wenn f(x) im Punkt \(P_1\) stetig ist (siehe auch den Beitrag zu Stetigkeit). Im Allgemeinen ändert sich dabei auch die Steigung der Sekante.

Wenn man das Spiel so weit treibt, dass \(P_2\) mit \(P_1\) zusammen fällt, geht die Sekante in eine Tangente über. Eine Tangente schneidet die Kurve nicht in zwei Punkten, sondern berührt sie nur noch in einem Punkt, nämlich \(P_1\). Δx – und wegen der Stetigkeit auch Δf – wären dann beide Null.

Abb.3 zeigt die Tangente im Punkt \(P_1\) der Funktionskurve.

Tangente

Abb.3: Tangente im Punkt \(P_1\)

Steigung der Tangente

Der Quotient \(\frac{0}{0}\) ist aber nicht definiert. Um trotzdem die Steigung der Tangente angeben zu können, greift man zu einem Trick: man betrachtet den Grenzwert des Quotienten für immer kleinere Werte von Δx, ohne Δx wirklich Null zu setzen. Die Steigung der Tangente ist dann definiert als:

\[m_{tan}=\tan(\alpha)=\lim_{{\Delta x }\to 0}\frac{\Delta f}{\Delta x}\]

Die Steigung der Funktionskurve im Punkt \(P_1\) beträgt dann

\[m_{tan}=\tan(\alpha)=\frac{df}{dx}\]

Differentialrechnung: Steigung der Tangente

Abb.4: Steigung der Tangente im Punkt \(P_1\)

Achtung:

\(\frac{df}{dx}\) bezieht sich jetzt nicht mehr auf die Sekante, sondern auf die Tangente!

Die Steigung der Tangente entspricht also der Ableitung an der Stelle x.

df und dx – in Anlehnung an die Differenzen Δf und Δx werden sie Differentiale genannt – sind endliche Größen! Mit dieser Sichtweise umgeht man Probleme mit der oft zu lesenden Aussage, die beiden Größen seien unendlich klein.

Abb.4 zeigt die Steigung der Tangente im Punkt \(P_1\)

Schätzung des Kurvenverlaufs

Oft möchte man abschätzen, wie sehr sich ein Funktionswert ändert, wenn man von einem x-Wert \(x_1\) zu einem Wert \(x_2\) übergeht. Die Steigung der Tangente, also die Ableitung der Funktion an der Stelle \(x_1\), kann für diese Aufgabe benutzt werden.

\(x_2\) ist vom Wert \(x_1\) um die Strecke dx entfernt. Die Tangente steigt dabei um df an und erreicht den Wert \(f_{tan}(x_2)\). Dieser Wert ist nicht gleich dem wahren Funktionswert \(f(x_2)\): zwischen beiden liegt ein Fehler (siehe Abb.5).

Dieser Fehler wird normalerweise umso größer sein, je weiter \(x_2\) von \(x_1\) entfernt ist. Für kleine dx wird der Fehler aber klein. Die Steigung der Tangente kann also in erster Näherung zur Schätzung von \(f(x_2)\) dienen, wenn \(f(x_1)\) bekannt ist und \(x_2\) nahe bei \(x_1\) liegt.

Abschätzung einer Funktionsänderung durch Differentialquotient

Abb.5: Schätzung der Funktionsänderung durch Differentialquotient

Wenn man diese Anschauung in eine Formel gießt, sieht das so aus:

\[f(x_2) \approx f(x_1)+df=f(x_1)+\frac{df}{dx} \cdot dx\]

\[f(x_2) \approx f(x_1)+f'(x_1) \cdot dx\]

Solche und ähnliche Abschätzungen werden in der Physik und vielen anderen Wissenschaften sehr häufig verwendet. Insbesondere dort, wo die wahre Funktionskurve f(x) zwar unbekannt, aber der Funktionswert f und die Steigung f‘ an der Stelle x0 bekannt sind. Zum Beispiel möchte man die Weiterentwicklung eines Aktienkurses abschätzen, dessen Wert und Änderungsrate bekannt ist.

Rechnen mit Differentialen

Viele Aufgaben der Differentialrechnung (und der damit verwandten Integralrechnung) können relativ einfach gelöst werden, wenn man mit Differentialquotienten und Differentialen rechnet. Doch Vorsicht: Differentiale sind Eigenschaften der Tangente, nicht der Funktion, an der die Tangente angelegt wird!

Ein Beispiel für das Rechnen mit Differentialen ist die Kettenregel für die Ableitung einer Funktion y(z(x)):

\[\frac{dy}{dx}=\frac{dy}{dz} \cdot \frac{dz}{dx}\]

Hier wurde der Quotient dy/dx erweitert um dz. Das ist in Ordnung, weil

\(\frac{dz}{dx}=m_{t_z}\) (\(m_{t_z}\): Steigung der Tangente an der Kurve z(x)). Weil dx und dy endliche Größen sind, darf man nach dx auflösen:

\(dx=\frac{dz}{m_{t_z}}\)

Einsetzen in \(\frac{dy}{dx}\) ergibt

\[\frac{dy}{dx}=\frac{dy}{dz} \cdot m_{t_z}=\frac{dy}{dz} \cdot \frac{dz}{dx}\]

Nochmals sei betont: es wurde über die Tangentensteigung argumentiert, wodurch die Differentialen dx und dy von Null verschieden sind (ihr Quotient muss gleich der Tangentensteigung sein, ist ansonsten aber keinen Beschränkungen unterlegen).

Weitere Beispiele für Rechenregeln von Differentialen:

  •  d(x+y) = dx + dy
  • d(k·x) = k·dx (k: Konstante)
  • d(x·y) = x·dy+y·dx
  • d(xn) = n·xn-1·dx

In der Anwendung von Differential- und Integralrechnung in Physik, Chemie etc. werden wir immer wieder auf das Rechnen mit Differentialen zurück kommen (bitte nicht als Drohung verstehen…).