• Beitrags-Kategorie:Mathematik
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Um was es geht...

Stetigkeit und Differenzierbarkeit von Funktionen hängen eng miteinander zusammen (einen Einstieg in den Stetigkeitsbegriff findet man auch im Beitrag Charakterisierung von Funktionen). Im Folgenden werden beide Begriffe näher erläutert und es wird gezeigt, dass Stetigkeit notwendig, aber nicht hinreichend für Differenzierbarkeit ist. Umkehrt ist eine differenzierbare Funktion immer stetig.

Anschauliche Definition von Stetigkeit

Stetigkeit bezieht sich immer auf Funktionen y(x), bei denen eine Variable (hier: y) von einer anderen Variablen (hier: x) basierend auf einer Zuordnungsvorschrift abhängt. Funktionen kann man besonders anschaulich in einem kartesischen Koorinatensystem darstellen, bei dem die x-Werte auf der horizontalen und die y-Werte auf der vertikalen Achse aufgetragen sind (siehe auch Funktionen – eine Einführung).

Abb.1 zeigt die Funktion y(x)=3·x².

Beispiel Funktionsplot
Abb.1: Beispiel einer Funktionskurve

Diese Funktion hat eine besondere Eigenschaft: wenn man sie zeichnet, muss man den Stift nicht abheben; sie macht keine Sprünge.

Und das ist auch schon die anschauliche Definition der Stetigkeit!

Abb.2 zeigt das Beispiel einer unstetigen Funktion. Es gibt nur für einige x-Werte einen y-Wert; dazwischen gibt es nichts. Diese Funktion ist nicht als Funktionsgleichung, sondern als Tabelle gegeben. Tabellarische Funktionen können nicht in einem Rutsch gezeichnet werden, sind also nie stetig.

Beispiel einer diskreten Funktion (Tabelle) als Graph
Abb.2: Beispiel einer unstetigen tabellarischen Funktion

Abb.3 zeigt das Beispiel einer fast überall stetigen  Funktion. Nur an der Stelle x=4 gibt es einen Sprung von y=3 auf y=5. An dieser Stelle ist y unstetig.

Das illustriert eine allgemeine Tatsache: Stetigkeit bezieht sich erst einmal nur auf eine einzige Stelle. Nur wenn eine Funktion bei allen x-Werten stetig ist, ist die Funktion als Ganzes stetig.

Gibt es eine endliche Anzahl von unstetigen Stellen in einer ansonsten stetigen Funktion, liegen dazwischen stetige Funktionsabschnitte.

Ein anderes Beispiel für eine Unstetigkeitsstelle x0 liegt vor, wenn y(x0)±∞ (unendlich) wird, also eine Unendlichkeitsstelle bei x0 existiert.

Unstetige Funktion mit Sprung
Abb.3: Beispiel einer unstetigen Funktion mit Sprung

Analytische Definition von Stetigkeit

So anschaulich die „Bleistift-nicht-absetzen“ Definition von Stetigkeit ist, sie hat Schwächen. Es gibt z.B. Fälle, in denen die Funktion gar nicht vernünftig zeichenbar ist. Deshalb hat man nach einer wasserdichten (analytischen) Definition gesucht – und ist auch fündig geworden. Leider ist sie etwas sperrig und wir werden versuchen, ihr den Schrecken zu nehmen…

In der Welt der Zahlen stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Ausgangspunkt ist der Funktionswert f(x0) beim x-Wert x0. Nun betrachtet man einen Funktionswert etwas abseits von x0; z.B. an der Stelle x0+Δx: f(x0+Δx). Die Differenz der beiden Funktionswerte beträgt: Δf=f(x0+Δx)-f(x0).

Die Funktion ist an der Stelle x0 stetig, wenn Δf immer kleiner wird, falls Δx immer kleiner wird (Abb.4). Etwas präziser als Grenzwert ausgedrückt:

\[\lim_{{x} \to x_0} f(x)=f(x_0)\]

Abb.4 illustriert den Stetigkeitsbegriff.

Stetigkeit einer Funktion
Abb.4: Funktionswert bei \(x_0\) gleich Grenzwert von links und rechts

Der Grenzwert ist also mit dem Funktionswert identisch. Der Funktionswert muss sowohl für positive als auch für negative Δx gleich sein, also unabhängig davon, ob man sich von rechts oder links der Stelle x0  nähert. Bei der Funktion in Abb.3 ist dies an der unstetigen Stelle x0=4 nicht der Fall; denn kommt man von rechts, ist der Funktionswert 5, kommt man von links 3.

Wenn diese Forderungen für alle x-Werte des Definitionsbereichs erfüllt sind, sagt man „die Funktion ist (als Ganzes) stetig“. Und es sind sehr viele Funktionen stetig; Beispiele: alle Polynome, Sinus und Cosinus, Exponentialfunktionen, Logarithmen etc.

Für die Praxis ist noch wichtig, dass Summe, Differenz und Produkt zweier stetiger Funktionen ebenfalls stetig sind. Gleiches gilt für den Quotienten mit Ausnahme der Stellen, an denen der Nenner Null ist (dort liegt meistens eine Unendlichkeitsstelle vor).

Was ist Differenzierbarkeit?

Differenzierbarkeit bezieht sich wie Stetigkeit immer auf eine Stelle x0 des Definitionsbereichs einer Funktion (siehe auch den Beitrag Differentialrechnung – ein Überblick). Differenzierbarkeit an der Stelle x0 heißt, dass der Grenzwert

\[\lim_{{x} \to x_0} \frac{f(x)-f(x_0)}{x-x_0}\]

existiert, also berechnet werden kann und nicht unendlich ist (er entspricht der Steigung der Tangente an der Funktionskurve). Wichtig: der Grenzwert muss – ähnlich wie bei der Stetigkeit – von links und rechts existieren und gleich sein. Dabei gilt: ist eine Funktion an der Stelle x0 differenzierbar, so ist sie dort auch stetig. Umgekehrt gilt das nicht; ein Beispiel zeigt Abb.5:

Funktion mit Spitze
Abb.5: Funktion in \(x_0\) stetig, aber nicht differenzierbar

Man kann sich der Stelle x0 von beiden Seiten nähern und bekommt den gleichen Funktionswert; die Funktion ist bei x0 stetig. Die Steigung ist aber links und rechts von x0 unterschiedlich (negativ bzw. positiv) und ändert sich abrupt an der Stelle x0; die Funktion ist deshalb bei x0 nicht differenzierbar.

Was bleiben soll...

  • Eine Funktion \(f(x)\) ist an der Stelle \(x_0\) stetig, wenn bei Annäherung des x-Wertes an den Wert \(x_0\) sich der Funktionswert \(f(x)\) dem Wert \(f(x_0)\) annähert und im Grenzfall mit diesem gleich wird.
  • Anschaulich: Beim Zeichnen der Funktion in einem Koordinatensystem, muss man den Zeichenstift nicht abheben, wenn man sich der Stelle \(x_0\) nähert.
  • Eine Unstetigkeitsstelle liegt vor, wenn die Funktionskurve Sprünge macht oder unendlich wird.
  • Die elementaren Funktionen sind stetig; Gleiches gilt für Summe, Differenz, Produkt und Quotient (vorausgesetzt der Nenner ist an der Stelle \(x_0\) ungleich Null) von elementaren Funktionen.